marmor macht architektur

Ein Baumaterial mit Geschichte

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Mit Marmor assoziieren wir heute den weissen Marmor der griechischen Antike, der italienischen Renaissance oder des Klassizismus. Wir denken an die Bauten auf der Athener Akropolis oder an den Mailänder Dom. Die antike Vorstellung von Marmor war hingegen eine andere. Unter diesem Begriff wurden damals alle polierbaren Gesteine subsumiert, darunter geologisch so unterschiedliche Sorten wie Alabaster, Granit oder Porphyr, die eine breite und mitunter kräftige Farbpalette aufweisen. Teilweise war diese Auffassung noch bis ins 19. Jahrhundert verbreitet. Die Geschichte des Materials Marmor ist daher auch eine Geschichte verschiedenfarbiger Steine. 1

Weisser Marmor aus Rheinwald, Schweiz, Erdwissenschaftliche Sammlungen der ETH Zürich, Sammlung Albert Heim (1880)
Auch die Erdwissenschaften beziehen sich in ihrer Definition von Marmor im Wesentlichen auf Gesteine von weisser, allenfalls gräulicher oder pastellfarbiger Ausprägung. Entscheidende Gemeinsamkeit der Marmorgruppe ist deren kristalline Struktur und grosse Dichte. Daraus resultieren Lichtdurchlässigkeit und lichtreflexive Eigenschaften, die das Material Marmor für Bauzwecke so gefragt machen.
ETH Zürich, E-Pics, Erdwissenschaftliche Sammlungen

Der schwierige Abbau, der aufwendige Transport und die begrenzte Verfügbarkeit machten diese Buntmarmore zu Luxusprodukten, die immer auch Zeichen von besonderem Status und Machtanspruch waren.

Im 19. Jahrhundert avancierte das Sammeln antiker Dekorationsgesteine, ihre Bestimmung und Kategorisierung zum regelrechten Hobby des römischen Bildungsbürgertums. Man war fasziniert von der herausragenden kulturellen Bedeutung des Materials. Eine dieser historischen Kollektionen antiker römischer Buntmarmore, die Sammlung Feliciani, befindet sich heute im Magazin des Departements Erdwissenschaften der ETH Zürich. Sie ist in ihrer Grösse, Zusammensetzung und Bedeutungsgeschichte einzigartig. 2

Buntmarmor als Signatur der römischen Architektur

Im Griechenland der Klassik (ca. 5. Jh. v. Chr.) war die Verwendung von weissem Marmor den öffentlichen Prachtbauten und Tempeln vorbehalten. Das Material symbolisierte den Reichtum und die Prosperität des Gemeinwesens. Erst in den luxuriösen Palästen und Mausoleen der Spätklassik (4. Jh. v. Chr.) und vor allem des Hellenismus (ab 3. Jh. v. Chr.) wurde auch Buntmarmor zur Verkleidung von ganzen Innenräumen verwendet. Im Zusammenspiel mit anderen kostbaren Materialien wie etwa Silber, Gold und Elfenbein sorgten die vielfarbigen Gesteine für komplexe Raumerlebnisse und unterstrichen natürlich auch die soziale Sonderstellung des Hausherren.

In der Architektur des römischen Italiens hingegen war die Verwendung von Marmor – sowohl von weissem als auch von farbigem – ein relativ spätes Phänomen, dafür aber umso nachhaltiger – die römische Marmorästhetik beeinflusste die Architekturgeschichte der gesamten westlichen Welt.

Innenraum des Pantheons in Rom, ca. 120 n. Chr.
Die grossteils noch originale Ausstattung aus polierten Buntmarmoren wurde aus verschiedenen Teilen des römischen Imperiums importiert. Foto: Stephan Zink

Mit der Ausweitung und Konsolidierung des römischen Reiches um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. und dem damit verbundenen Zugang zu neuen Steinbrüchen, aber auch mit der Erschliessung des heute noch abgebauten weissen Marmors von Carrara (antikes Luni) in Oberitalien wurde dieses Material auch in Rom nicht mehr nur für öffentliche Bauten verwendet.

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Karte des römischen Reichs mit den wichtigsten Buntmarmor-Steinbrüchen um 395 n. Chr.
Nach: Raniero Gnoli: Marmora Romana, Rom 1971.

Die Farbenpracht bunter Marmore war nun heiss begehrtes Statussymbol in den Privathäusern und Luxusvillen der römischen Oberschicht. Wer etwas auf sich hielt, hatte in seiner Residenz farbige Marmorsäulen sowie Böden und Wände, die mit glänzend polierten, farbigen Marmorplatten verkleidet waren, ganz so, wie sie auch im Inneren der Tempel zu finden waren.

Im Laufe der Zeit wurde die Anwendung von Buntmarmor immer anspruchsvoller ebenso wie der künstlerische Umgang mit dessen Materialität und Farbigkeit. Man experimentierte mit allerlei neuen Techniken wie etwa Marmorapplikationen oder dekorativen Einlegearbeiten – einem regelrechten „Malen in Stein“. 3

Fussboden mit verschiedenen Buntmarmorvarianten in einer römischen Privatwohnung, Ostia, 2. Jh. n. Chr.
Zu erkennen sind unter anderem Cipollin, Giallo antico und Verde antico. Foto: Martine Vernooij

Stein-Inszenierungen in der Architektur des 19. Jahrhunderts

Für die Architekten und Baumeister des 19. Jahrhunderts waren die bei Grabungen in Rom zu Tage geförderten Dekorationsgesteine, auf Basis derer Sammlungen und zugehörige Kataloge entstanden, eine wichtige Inspirationsquelle. Die verschiedenen Steine gehörten zum Kanon der antiken Architektur und wurden in zeitgenössischen Bauten verwendet oder imitiert.

Johannes Overbeck: Wandmalerei in Pompeji, 1856
Die Zeichnung von Johannes Overbeck zeigt verschiedene Steindarstellungen in der linken Hälfte des Bildes. Deutlich erkennbar ist Ägyptischer Alabaster.
Aus: Johannes Overbeck: Pompeji in seinen Gebäuden, Alterthümern und Kunstwerken, Leipzig 1856, S. [432].
Gottfried Semper: Wand aus der Casa di Sallustio in Pompeji, 1860
Die Zeichnung zeigt im oberen Teil der Wand schematisch gezeichnete Steinplatten.
Aus: Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, Bd. 1, Textile Kunst, Frankfurt 1860, S. 607.
Eugene Violet-le-Duc: Konstruktives Schema der Caracalla-Thermen in Rom (Anfang 3. Jahrhundert n. Chr.) mit Oberflächenverkleidungen in Buntmarmor, 1867
Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin
Tafel aus einem populärwissenschaftlichen Werk des ETH-Professors Gustav Adolf Kenngott mit antiken Dekorationssteinen neben verschiedenen Kristallformen und Mineralen
Die Gesteine, die bereits in der Antike verwendet wurden, sind: 6. Aphanitporphyr geschliffen (Porfido Serpentino Verde), 8. Felsitporphyr geschliffen (Porfido Rosso), 17. Granit aus Ober-Aegypten, geschliffen (Assuangranit). Aus: Gustav Adolf Kenngott: Naturgeschichte des Mineralreichs für Schule und Haus, Zweiter Teil: Geologie und Paläontologie, Esslingen 1888, Tafel VIII.
Tafel aus einem populärwissenschaftlichen Werk des ETH-Professors Gustav Adolf Kenngott mit verschiedenen, nicht antiken, gemeinhin „als Marmor benannten Kalksteinen“
Aus: Gustav Adolf Kenngott: Naturgeschichte des Mineralreichs für Schule und Haus, Zweiter Teil: Geologie und Paläontologie, Esslingen 1888, Tafel XI.
Tafel aus einem Mineralienbuch von 1850
Die römischen Dekorationsgesteine waren im 19. Jahrhundert Teil der erdwissenschaftlichen Grundlagenliteratur. Zwei der hier abgebildeten Steine waren schon in der Antike gebräuchlich: 1. Grünstein (Porfido Serpentino Verde), 2. Porphyr (Porfido Rosso).
Aus: L.A. Schmidt: Mineralienbuch oder allgemeine und besondere Beschreibung der Mineralien, Stuttgart 1850, Seite 235.

Berühmte, regelrecht inszenierte Innenausstattungen aus buntem Marmor und zum Teil Marmorimitat (Stuckmarmor) findet man zum Beispiel in der Walhalla in Donaustauf und in der Neuen Eremitage in St. Petersburg von Leo von Klenze, im Neuen Museum in Berlin von Friedrich August Stüler sowie im Kunsthistorischen Museum in Wien von Gottfried Semper.

Leo von Klenze: Walhalla, Donaustauf bei Regensburg, 1831–1842
Verwendet wurden folgende Steinsorten: Adneter-Marmor, Bayreuther Marmor, Tegernseer Marmor und Tiroler Marmor (jeweils rot), Rosenheimer-Marmor (grau), Carrara-Marmor (weiss) und Weltenburger Marmor (gelb). 4
Foto: Ingo Steinbach, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Leo von Klenze: Neue Eremitage, St. Petersburg, 1839–1852, Halle des Jupiter
Skulpturensockel und Boden sind aus unterschiedlichen Buntmarmoren, die Wände mit Marmorimitat (Stuckmarmor) verkleidet. Foto: Martine Vernooij
Friedrich August Stüler: Neues Museum, Berlin, 1843–1855, Mittelalterlicher Saal
Das Museum wurde von 1997 bis 2009 durch David Chipperfield Architects zusammen mit Julian Harrap Architects wiederaufgebaut. Die Säulen bestehen aus Marmorbrekzie. Foto: Jörg von Bruchhausen
Gottfried Semper: Kunsthistorisches Museum Wien, 1871–1881, Prunkstiege
Treppe aus Carrara-Marmor, Säulen aus Bianco e nero antico, Wände aus Marmorimitat (Stuckmarmor). Foto: KHM-Museumsverband

Einige der bedeutendsten antiken Marmorsorten blieben auch nach dem Untergang des Römischen Reiches weiterhin verfügbar und wurden sporadisch abgebaut. Andere hingegen, wie der von den Römern „Marmor carystium“ genannte Cipollino verde aus der Nähe von Karystos auf der griechischen Insel Euböa oder der purpurrote, sogenannte Kaiserporphyr vom Mons Porphyrites in Ägypten, waren zwar bekannt, doch ihre genauen Abbauorte waren in Vergessenheit geraten. Im Zuge des neuerwachten Interesses an den antiken Buntmarmoren suchte der englische Steinhändler William Brindley gegen Ende des 19. Jahrhunderts die antiken römischen Steinbrüche in Griechenland, in der Türkei und in Nordafrika auf, verhandelte und erwarb einige Konzessionen zum Steinabbau, darunter für den oben erwähnten Cipollino aus Euböa. 5

1873 präsentierte Italien die damals noch in Rom befindliche Sammlung Feliciani auf der Weltausstellung in Wien. Die Reaktion der Presse war euphorisch und Italien wurde gerühmt, „in der Vorführung seiner Steinschätze unter allen Ländern den ersten Rang“ 6 einzunehmen.

Ein 1872 von Emile de Meester de Ravestein verfasster Katalog zu dessen Kollektion antiker Buntmarmore gibt exemplarisch Aufschluss über Ambitionen und Intentionen, die den damaligen Sammlungen zugrundelagen: Der Autor schreibt, seine Kollektion „soll dazu auffordern, die Alten nachzuahmen“, aber nicht durch Imitation oder blosse Wiederverwendung, sondern in Form von Inspiration. 7 Die antiken Steine sollten dazu anregen, landeseigene Schätze zu entdecken, sowie neue Wege für die Kunst und die moderne Industrie eröffnen. 8 Ihr Studium war somit nicht mit dem Ziel verbunden, antike Baumaterialien zu übernehmen, vielmehr sollte es den Blick für moderne Baumaterialien schulen und schärfen.

Die Schweiz entdeckt ihre eigenen Steinschätze

Fünf Jahre nachdem sich Italien auf der Wiener Weltausstellung durch die Präsentation der Sammlung Feliciani Ruhm erworben hatte, zeigte die Schweiz auf der Weltausstellung in Paris 1878 die eigenen zu Bauzwecken verwendbaren Steinvorkommen und erhielt „vier grosse Preise und sechs goldene Medaillen“. 9 Auch auf der ersten grossen Landesausstellung in Zürich im Jahr 1883 stellte man den ganzen „Reichthum des Landes an prachtvollen Baumaterialien“ 10 aus. Präsentiert wurden neben den Gesteinsmustern, darunter sowohl Dekorations- wie auch Massivbausteine, verschiedene Verwendungsarten und Veredelungstechniken.

Alexander Koch: Vestibül im altdeutschen Stil aus einer Vielzahl schweizerischer Bausteine an der Landesausstellung 1883 in Zürich
Der Architekt und Semperschüler machte damit einen paradigmatischen Entwurf für nationales Bauen nach antiken Vorbildern. Foto: Romedo Guler, aus: O. V.: 'Die natürlichen Bausteine an der schweizerischen Landesausstellung 1883', in: „Schweizerische Bauzeitung", Bd. 1–2, Heft 7, 1883, S. 38.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte in der Schweiz eine allgemeine Blütezeit der Steinindustrie eingeläutet. Bedeutende Gesteinsvorkommen waren identifiziert, Steineigenschaften zum ersten Mal systematisch getestet und viele neue Steinbrüche eröffnet worden. 11 Der Tessiner Arzo-Marmor, der schon seit dem 16. Jahrhundert in grösserem Stil abgebaut wurde, erlebte eine Blütezeit. Der dem antiken römischen Cipollino optisch sehr ähnliche, grün-gräulich gebänderte Marmor aus Saillon im Wallis wurde um 1873 entdeckt und bald erfolgreich als Grand Cipolin antique (Grand Antique de Saillon) weit über die Schweizer Grenzen hinaus vermarktet. 12

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Karte der Schweiz mit allen 1915 aktiven Steinbrüchen
Alle markierten Steine sind auch im Berner Bundeshaus verbaut. Nach: Grubenmann, Ulrich: Die natürlichen Bausteine und Dachschiefer der Schweiz, Zürich 1915: Geografische Daten von der Schweizer Geotechnischen Kommission (SGTK)

Ein gebautes Manifest der nationalen Steinschätze ist das zwischen 1894 und 1902 errichtete Parlamentsgebäude des Bundeshauses in Bern von Hans Wilhelm Auer. Der Semperschüler kommentierte im Vorfeld des Baus seine Materialwahl wie folgt: „[…] im Inneren sollen auch die üblichen Hartsteine und Marmore der ganzen Schweiz, vollständig und ohne Ausnahme, herangezogen werden.“ 13 Im Parlamentsgebäude wurden insgesamt 30 einheimische Gesteine verbaut. Diese decken zwar nur einen Bruchteil der damals abgebauten Steinsorten aus etwa 700 aktiven Steinbrüchen ab, repräsentieren geografisch aber fast das gesamte Land. 14

Auch in Zürich finden sich an einigen Bauten des Historismus und der Gründerzeit Beispiele der Verwendung von Schweizer Dekorationsgestein, zum Beispiel Arzo-Marmor und Saillon-Marmor (Grand Cipolin Antique).

Parlamentsgebäude, Bundeshaus Bern, Sockel und Boden vor der Rütligruppe
Sockel: Laufenerstein, Sockelbank: Châble Rouge (aus Yvorne, VD, Sturzblöcke aus der Ebene des Rhonetals), Rückwand: Arvel-Marmor (vom Mont d’Arvel oberhalb von Villeneuve), Treppen-Postament und Sitzbank: Merliger-Marmor (Ralligholz bei Merligen, Gemeinde Sigriswil, BE), Boden: Gris de Roche (von der Ostseite des Rhonetals zwischen Yvorne und Roche, VD), Rouge Jaspé (Roche, VD), Carrara-Marmor und Belgischer Granit. 15 Foto: Toni P. Labhart
Parlamentsgebäude, Bundeshaus Bern, Wandelhalle
Doppelsäule: Arzo-Marmor (Macchia Vecchia, aus Arzo, Mendrisiotto, TI), Kapitelle und Basen: Carrara-Marmor, Sockel: Arzo-Marmor (Brocatello), Türgewände: Grindelwaldner-Marmor (grün-graue Varietät, vom Unteren Gletscher, Grindelwald, BE), gelbe Wandflächen: Marmorimitat (Stuckmarmor). 16 Foto: Toni P. Labhart
Parlamentsgebäude, Bundeshaus Bern, Eingang zum Zimmer des Präsidenten des Nationalrats
Türgewände: Grindelwaldner-Marmor (rote Varietät, vom Unteren Gletscher, Grindelwald, BE), Heizkörperverkleidung: Saillon-Marmor (westlich von Saillon, VS, hundert Meter über der Talsohle der Rhone), Säule: Arzo-Marmor; gelbe Wandflächen: Marmorimitat (Stuckmarmor). 17 Foto: Toni P. Labhart
Parlamentsgebäude, Bundeshaus Bern, Ständeratssaal
Säulen: Arzo-Marmor (Brocatello), Kapitelle: Carrara-Marmor, Pfeiler und Bogen: Arvel-Marmor, unterster Teil des Pfeilers: Marmor von Colombey, VS. 18 Foto: Toni P. Labhart
Alexander Koch: Schulhaus Hirschengraben, Zürich, 1893–1894, Entrée
Säulen aus Arzo-Marmor. Foto: Anas Honeiny
Alexander Koch: Schulhaus Hirschengraben, Zürich, 1893–1894, Entrée, Detail
Säulen aus Arzo-Marmor. Foto: Anas Honeiny
Otto & Werner Pfister: Leuenhof, Bahnhofstrasse, Zürich, 1913/14, Schalterhalle Bank Leu
Säulen aus Saillon-Marmor. Foto: Anas Honeiny
Otto & Werner Pfister: Leuenhof, Bahnhofstrasse, Zürich, 1913/14, Schalterhalle Bank Leu, Detail
Säulen aus Saillon-Marmor. Foto: Anas Honeiny
Otto Pfleghard & Max Haefeli: Münzhof, Bahnhofstrasse, Zürich, 1914–1918, Schalterhalle der Schweizerischen Bankgesellschaft
Pfeiler und Tresen aus Arzo-Marmor (Macchia Vecchia). Foto: Martin Ruetschi/Keystone

Marmor in der Architektur der Moderne

Im 20. Jahrhundert veränderte sich die Bedeutung von Buntmarmor abermals. Die Baumaterialien Beton, Stahl und Glas spielten eine immer wichtigere Rolle, und die Architekturästhetik veränderte sich stark. Naturstein und mit ihm das steinverarbeitende Handwerk verloren zunehmend an Bedeutung. Dennoch wurde Marmor als Oberflächenmaterial nie vollständig verdrängt und war zum Beispiel in der Architektur des italienischen Razionalismo neben Travertin von zentraler Bedeutung. 19

Auch zwei der wichtigsten Protagonisten der internationalen Moderne, Adolf Loos und Ludwig Mies van der Rohe, verwendeten in einigen ihrer bekanntesten Bauten antike Dekorationsgesteine und stellten die pure Materialität des Marmors in den Vordergrund, indem sie den Stein grossflächig und prominent einsetzten.

Für die Fassadenverkleidung des Erd- und Mezzaningeschosses seines Wiener Hauses am Michaelerplatz wählte Adolf Loos den oben erwähnten Cipollino-Marmor, der seit wenigen Jahren erstmals nach der Antike wieder erhältlich war. In einer Rechtfertigungsschrift, die am 30. September 1910 als Artikel im 'Illustrierten Wiener Extrablatt' erschien, bemerkte der Architekt, der zur Auswahl des Marmors eigens nach Euböa reiste: „Wie diese Wirkung sein wird, weiß bisher kein Mensch. Noch nie wurde Cipollino-Marmor in solchen Massen verwendet. Nach dem Untergange Roms gerieten die Brüche in Vergessenheit […] und nun soll das Haus am Michaelerplatz das erste große Bauwerk in diesen schönsten und prächtigsten aller Marmorsorten werden.“ 20

Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Wien, 1909–1910
Das Wohn- und Geschäftsgebäude beherbergte im Erdgeschoss ursprünglich das prächtige Ladenlokal des Herrenschneidersalons Goldmann & Salatsch sowie dessen Produktionsstätten und Büros in den Zwischengeschossen.
Foto: Gryffindor, CC-BY-SA, via Wikimedia Commons
Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Wien, 1909–1910, Detail
Foto: Хомелка, CC BY-SA, via Wikimedia Commons

Wie Loos war Mies van der Rohe Sohn eines Steinmetzen und von Hause aus geschult im Umgang mit Naturstein. In seinem als ein Manifest der Moderne geltenden Barcelona-Pavillon, der 1929 als Beitrag des Deutschen Reiches zur Weltausstellung in der spanischen Metropole errichtet wurde, stellte Mies van der Rohe eine Wand aus nordafrikanischem Onyx doré als freistehendes Objekt ins Zentrum des Raumes. 21 Auch die anderen Wände aus französischem Vert antique und grünem Tinos-Marmor von der gleichnamigen griechischen Insel sind objekthaft angeordnet. 22

Ludwig Mies van der Rohe: Barcelona-Pavillon (Repräsentationsbau des Deutschen Reiches für die Weltausstellung in Barcelona, 1929), Rekonstruktion 1983–1986
Foto: vicens, CC BY-SA, via Wikimedia Commons
Ludwig Mies van der Rohe: Barcelona-Pavillon (Repräsentationsbau des Deutschen Reiches für die Weltausstellung in Barcelona, 1929), Rekonstruktion 1983–1986
Wand aus rötlichem Onyx-Marmor
Foto: vicens, CC BY-SA, via Wikimedia Commons
Ludwig Mies van der Rohe: Barcelona-Pavillon (Repräsentationsbau des Deutschen Reiches für die Weltausstellung in Barcelona), 1929
Gang an der Rückseite des Pavillons und Innenraum mit Wand aus honiggelbem Onyx-Marmor, Seite aus der Zeitschrift Die Form, 1929, Nr. 4, Heft 16, S. 426

Zwar veränderte sich der ästhetische Umgang mit Buntmarmor in der Moderne im Vergleich zu den vorangehenden Epochen, was aber blieb, sind die dem Stein inhärenten Konnotationen des Edlen und Kostbaren, woraus eine Exklusivität resultiert, die dem Material bis heute anhaftet.

Eine bereits im alten Rom aufgegriffene Materialeigenschaft von Marmor, seine Transluzenz, ist Thema der mit weissem Vermont-Marmor verkleideten Beinecke Rare Book and Manuscript Library von Gordon Bunshaft und der Kirche St. Pius von Franz Füeg, für deren Fassade dünn geschnittener Pentelischer Marmor aus Griechenland verwendet wurde.

Franz Füeg: St. Pius, Meggen, 1964, Innenraum
Foto: Frank Kaltenbach
Franz Füeg: St. Pius, Meggen, 1964, Aussenfassade
Foto: Frank Kaltenbach
Gordon Bunshaft: Beinecke Rare Book & Manuscript Library, Yale, New Haven, 1963, Innenraum
Foto: Beinecke Rare Book & Manuscript Library
Gordon Bunshaft: Beinecke Rare Book & Manuscript Library, Yale, New Haven, 1963, Aussenfassade
Foto: Carol M. Highsmith, via Wikimedia Commons

Buntmarmor heute

Buntmarmor wurde seit der Antike in sich immer wieder verändernden ästhetischen und historischen Kontexten beim Bauen eingesetzt und ist auch heute noch verfügbar. In der Schweiz wird im Vergleich zum 19. Jahrhundert nur noch eine geringe Menge Stein abgebaut, für architektonische Zwecke wird gegenwärtig in 75 Steinbrüchen Material gewonnen. Der Abbau etwa von Arzo-Marmor oder Cipolin antique aus Saillon kam aus Rentabilitätsgründen ganz zum Erliegen, unter anderem bedingt durch die sich verändernden Steinmoden 23 .

Marmor im engeren – und petrografisch korrekten – Sinne wird heutzutage in der Schweiz nur noch an einem Ort abgebaut: Dabei handelt es sich um den hellen Cristallina-Marmor aus Peccia im Tessiner Maggiatal. Buntmarmore im antiken Sinne, also farbige, polierbare Hartgesteine, werden hingegen noch abgebaut, darunter beispielsweise Rouge de Collonges, Vert de Salvan, Andeer und Valser Quarzit.

Andeer-Gneis mit polierter Oberfläche
Mehr Informationen auf materialarchiv.ch
Valser Quarzit, marmoriert, mit feingeschliffener Oberfläche
Mehr Informationen auf materialarchiv.ch
Cristallina-Marmor mit polierter Oberfläche
Mehr Informationen auf materialarchiv.ch

Die genannten Marmore und Buntmarmore finden sich allesamt in der Materialsammlung der ETH Zürich auf dem Hönggerberg zusammen mit anderen Baustoffen wie Holz, Keramik, Glas, Metall, Lehm, Kalk, Gips, Zement oder Kunststoff. Durch eine Gegenüberstellung von historischen Baumaterialien mit zeitgenössischen Werkstoffen sowie eine gemeinsam mit dem Netzwerk Material-Archiv betriebene Material-Datenbank soll hier das Bewusstsein um Bedeutung und Kontext von Baustoffen geschärft und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen angestossen werden – eine Intention vergleichbar mit jener der grossen Buntmarmor-Sammlungen des 19. Jahrhunderts.

Materialsammlung der ETH Zürich, Baubibliothek, Campus Hönggerberg
Foto: Leif Linhoff

Fussnoten

  1. Der Begriff „Buntmarmor“ wird nur im antiken Kontext verwendet und bezeichnet dort tatsächlich alle polierbaren Steinsorten (Marmor, Kalkstein, Gneis, Granit, Serpentinit, …). Als nicht polierbar galten früher vor allem Sandsteine und Schiefer. Zu antikem Buntmarmor allgemein vgl. Raniero Gnoli: Marmora romana, Rom 1971; Gabriele Borghini: Marmi Antichi, Rom 2004; Mario Pieri: I marmi d’Italia. Graniti e pietre ornamentali, Mailand 1964, 3. Auflage; Dario Del Bufalo: Marmi colorati. Le pietre e l’architettura dall’Antico al Barocco, Mailand 2003; Monica T. Price: Decorative Stone. The Complete Sourcebook, London 2007. ↩︎
  2. Vgl. Stephan Zink, Martine Vernooij und Peter Brack: 'Die Sammlung ‚Feliciani’ der ETH Zürich: Geschichte, Ordnung und Bedeutung einer römischen Marmorsammlung des 19. Jahrhunderts', in: Uta Hassler und Thorsten Meyer: Kategorien des Wissens: die Sammlung als epistemisches Objekt, Zürich, 2014, S. 209–227. Ähnliche Sammlungen findet man in Oxford, Rom, Mailand, Brüssel und Berlin. Einen Überblick über diese Sammlungen geben: Henry William Pullen: Handbook of Ancient Roman Marbles, London 1894, S. 6–8; Ders.: Manuale dei marmi romani antichi, Rom 2015, übers. und hg. v. Francesco Crocenzi; Raniero Gnoli: Marmora romana, Rom 1971, S. 77–85; Caterina Napoleone: 'Il Collezionismo di marmi e pietre colorato dal sec. XVI al sec. XIX', in: Gabriele Borghini, (Hg.): Marmi antichi, Rom 2004, S. 99–115; Harald Mielsch: Buntmarmore aus Rom im Antikenmuseum in Berlin, Berlin 1985. Zur Sammlung in Brüssel siehe: Emile de Meester de Ravestein: Musée de Ravestein. Catalogue decriptif, Liège 1872, Bd. 2. ↩︎
  3. Zum Thema der Polychromie in der antiken Architektur allgemein siehe auch den umfassenden Lexikonbeitrag von Stephan Zink: 'polychromy, architectural, Greek and Roman', in: Oxford Classical Dictionary, März 2019. ↩︎
  4. Walhalla 2004–2014, hg. v. Staatlichen Bauamt Regensburg, Regensburg 2014. ↩︎
  5. Vgl. Emma Hardy: 'Farmer and Brindley. Craftsman Sculptors 1850–1930', in Victorian Society Annual, 1993, S. 4–17 und Monica T. Price: Decorative Stone. The Complete Sourcebook, London 2007, S. 174–175 und S. 202–203. ↩︎
  6. 'Ein antikes römisches Ausstellungsobjekt', in: Die Presse, 1873, S. 8. und Heinrich Wolf: Die Steinwaaren: officieler Ausstellungs-Bericht der General-Direction der Weltausstellung 1873, Wien 1877, S. 6. ↩︎
  7. De Meester de Ravestein 1872 (wie Anm. 2), S. 179. ↩︎
  8. Ebd. ↩︎
  9. Zur Schweizer Steinschau an der Pariser Weltausstellung: O. V.: 'Rückblicke auf die Pariser Weltausstellung. Natürliche und künstliche Baumaterialien', in: Die Eisenbahn, 1880, Bd. 12/13, Heft 15, S. 87–89 ↩︎
  10. Offizielle Zeitung der Schweizerischen Landes-Ausstellung, 10. Oktober 1883, Nr. 38, S. 355 ↩︎
  11. Dies stand auch im Zusammenhang mit grossen Infrastrukturprojekten, wie z. B. dem Bau des Gotthardtunnels, siehe dazu u. a.: Katja Burzer und Martine Vernooij: Gneis! Ein schweizer Gestein im Kontext der Architektur, Zürich 2016 ↩︎
  12. Siehe zum Beispiel: The Antique Cipollino Marbles of Saillon (Switzerland), Bristol 1892. ↩︎
  13. Vgl. Toni P. Labhart: Steinführer Bundeshaus Bern, Bern 2002, S. 11–12. ↩︎
  14. Zum Parlamentsgebäude vgl. Labhart (wie Anm. 12) sowie Toni P. Labhart und Felix Thierstein: 'Die Steine des Parlamentsgebäudes', in: Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern, Neue Folge, 1987, Bd. 44, S. 203–235. Zu den Steinbrüchen im ausgehenden 19. Jahrhundert siehe: Peter Eckardt et al.: 'Feststeine für Bauzwecke', in: Die mineralischen Rohstoffe der Schweiz, hg. v. d. Schweizerischen Geotechnischen Kommission, Zürich 1997, S. 169–296, hier S. 180–181. ↩︎
  15. Toni P. Labhart: Die Gesteine des Parlamentsgebäudes, hg. v. der Schweizerischen Geotechnischen Kommission, Bern 1987, S. 208–209. ↩︎
  16. Toni P. Labhart: Die Gesteine des Parlamentsgebäudes, hg. v. der Schweizerischen Geotechnischen Kommission, Bern 1987, S. 220–221. ↩︎
  17. Toni P. Labhart: Die Gesteine des Parlamentsgebäudes, hg. v. der Schweizerischen Geotechnischen Kommission, Bern 1987, S. 216–217. ↩︎
  18. Toni P. Labhart: Die Gesteine des Parlamentsgebäudes, hg. v. der Schweizerischen Geotechnischen Kommission, Bern 1987, S. 224–225. ↩︎
  19. Vgl. hier (weniger zum Überblick, als vielmehr zum Betrachten einiger prägnanter Bauten) zum Beispiel: Katrin Albrecht: Angiolo Mazzoni. Architekt der italienischen Moderne, Berlin 2017 oder Memmo Caporilli und Franco Simeoni (Hg.): Il Foro Italico e lo Stadio Olimpico. Immagini dalla storia, Rom 1990. ↩︎
  20. Adolf Loos: 'Die beanständete Fassade des Baues am Michaelerplatz', in: Illustriertes Wiener Extrablatt, 30. September 1910, abgedruckt in: Ders.: Die potemkin’sche Stadt. Verschollene Schriften 1897–1933, hg. v. Adolf Opel, Wien 1983, S. 121. Zum Haus selbst vgl. Hermann Czech und Wolfgang Mistelbauer: Das Looshaus, Wien 1976 sowie Christopher Long: The Looshaus, New Haven/London 2011. ↩︎
  21. In einem zeitgenössischen Bericht über den Pavillon wird insbesondere der Onyx als Rarität gepriesen, es handele sich um den einzigen „Marmorblock von dieser Art und diesen Ausmaßen, der in Europa zu finden war.“, vgl. Justus Bier: 'Mies van der Rohes Reichspavillon in Barcelona', in: Die Form, 1929, Bd. 4, Heft 16, S. 424. Zur Entdeckung des Blocks in einem Hamburger Lager äusserte sich Mies später in einigen Interviews. Allein sein Materialwert machte etwa ein Fünftel der Baukosten aus. Der aus dem marokkanischen Atlasgebirge stammende Stein wurde mehrmals gespalten und die daraus resultierenden, nur 3 cm starken Platten wurden zu beiden Seiten der Wand an einem inneren Eisenskelett aufgehängt. Nur die insgesamt vier Platten an den beiden Kopfseiten sind massiv. Da die Masse des Steinblocks von vornherein festgelegt waren, stand die Onyxwand hinsichtlich ihrer Proportionen auch im Zentrum der Planungen. Vgl. hierzu Wolf Tegethoff: Mies van Der Rohe. Die Villen und Landhausprojekte, Essen 1981, S. 76–77. In der heutigen Rekonstruktion aus den 1980er Jahren wurde ein roter Onyx verwendet, der vollkommen anders gezeichnet ist. Der ursprüngliche Onyx kam demjenigen, den Mies in der fast zeitgleich konzipierten Villa Tugendhat in Brünn verbaute, sehr nahe. Zum Pavillon vgl. zudem George Dodds: Building Desire. On the Barcelona Pavillon, London/New York 2005. ↩︎
  22. Bei dem hellen Stein, aus dem Boden und Aussenmauern bestehen, handelt es sich um Römischen Travertin aus Tivoli. ↩︎
  23. Konrad Zehnder und Rainer Kündig: 'Steinmoden – gestern und heute', in: Kunst + Stein, 2010, Nr. 3, S. 4–7. ↩︎

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