Rechnen ohne Strom

Rechenmaschinen als Wegbereiter der Computer

  • Technologie
14. Juni 2018

Stellen Sie sich vor: Der Strom fällt aus, Ihr Bildschirm wird dunkel, die Lampen erlöschen. Sie sitzen im Dunkeln. An der ETH Zürich bricht ein Computerprogramm, das seit zwei Tagen Berechnungen anstellt, zusammen. – Das konnte Wissenschaftlern in früheren Jahrhunderten nicht passieren, denn sie rechneten im Kopf und mit Papier und Bleistift. – Oder etwa doch nicht? Wie schafften sie es, in Mathematik, Astronomie oder Physik ganz ohne Strom bahnbrechende Entdeckungen zu machen?

Frühe Anleitungen zum Rechnen beinhalten die sogenannten Rechenbücher, von denen sich einige Exemplare aus dem 16. Jahrhundert im Bestand der ETH-Bibliothek befinden. Diese Publikationen richteten sich insbesondere an Kaufleute, kamen aber auch in der Vermessungstechnik, der Astronomie und in der Schule zum Einsatz. Es war den Autoren ein Anliegen, die Bücher praxisnah und auf Deutsch zu verfassen sowie mit vielen Beispielen anzureichern. Die Mathematik sahen sie als Grundlage für andere Künste. Adam Ries bezieht sich im Vorwort seines Buches auf Platon, der auf die Frage, wodurch sich der Mensch von den Tieren unterscheide, geantwortet habe, dass er „rechnen kan unnd verstand der zale hab“ 1 .

Neben theoretischen Ausführungen waren auch konkrete Hilfsmittel zum Rechnen wichtig. Die ETH-Bibliothek ist im Besitz von Rechenmaschinen, die ohne Strom funktionieren – als Teil der „Sammlung Sternwarte“, einer Sammlung historischer Instrumente. Anhand ausgewählter Geräte wird in dieser Geschichte ausschnitthaft deren Entwicklung nachgezeichnet. Hierbei wird deutlich, dass die Rechenmaschinen dank ihrer kontinuierlichen Verbesserung und Erweiterung Wegbereiter des Computers sind.

Hilfsmittel für Rechenkünstler

Sogar in der Schule kamen die Schüler bereits vor Jahrhunderten in den Genuss von Abakussen und Rechenschiebern 2 . Vermutlich hätten viele aber trotzdem alles darum gegeben, Geräte zur Hand zu haben, die ihnen die mühselige Denkarbeit abnehmen…

Seit Jahrtausenden erfinden die Menschen Hilfsmittel, um in der Wissenschaft, im Handel 3 und anderen Gebieten komplexere Aufgabenstellungen bewältigen und schneller rechnen zu können. Das Streben nach einfacher Bedienung und schnellem Rechnen stand bei der Entwicklung der Rechenhilfsmittel denn auch stets im Zentrum: vom Fingerrechnen bis zu den heutigen Rechnern – bekannter als Computer. Dennoch besitzen gewisse historische Rechenhilfsmittel auch in der heutigen Zeit ihre Berechtigung, wie ETH-Professor Roy Wagner ausführt.

Rechenhilfsmittel – ein Geschäftsmodell

Rechenhilfsmittel wurden schon bald für verschiedene Berufsgruppen und Zwecke hergestellt und verkauft: Bei den Rechenschiebern zum Beispiel gab es neben den gewöhnlichen logarithmischen Rechenschiebern auch Rechenstäbe zur Ausführung tachymetrischer Rechnungen oder speziell für Maschinen- und Elektroingenieure. 4 So wie heute Software für unterschiedliche Anwendungen und Berufsgruppen von spezialisierten Firmen entwickelt wird, wurden bereits im 19. Jahrhundert Rechengeräte für unterschiedliche Funktionen und Kundengruppen gezielt produziert. Damit verbunden war die Werbung in Zeitschriften und Büchern.

Leistungsfähigste Rechenmaschine der Welt „Millionär“Die Rechenmaschine MILLIONAER wurde von Ing. Hans Walter Egli (1862–1925) entwickelt, der 1893 nicht nur die Maschine auf den Markt brachte, sondern auch eine Firma gründete. Als eine der ersten Käuferinnen erwarb – neben der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank in München – die Materialverwaltung des Eidgenössischen Polytechnikums eine MILLIONAER. 5 Schweizerische Bauzeitschrift, 1910, Band 55, Heft 1, S. 11
„Addiator“, die unübertroffen praktische RechenmaschineNebelspalter: Das Humor- und Satire-Magazin, 1927, Band 53, Heft 3, S. 8
MONROE Zweizählwerk Addier- und SaldiermaschineDu: Kulturelle Monatsschrift, 1953, Band 13, Heft 9, S. 1
Galaxy 40X – Damit Ihren Schülern Mathematik noch mehr Spass macht.Schweizer Schule, 1991, Band 78, Heft 9, S. 38

Die Fähigkeit, Rechenhilfsmittel bedienen zu können, bildete bereits früher eine Voraussetzung, um sich im Berufsalltag zu bewähren: „Sicherheit im Rechnen mit dem Rechenschieber und Gewandtheit in Benützung von Tabellen muss bei uns jeder über 18 Jahre alte technische Beamte besitzen, andernfalls sofortige Entlassung.“ 6 Dies gilt, wenn auch anders formuliert, bis heute: Gibt es doch kaum eine Branche, in der nicht „Sicherheit“ und „Gewandtheit“ in der Benutzung von Computern vorausgesetzt wird.

Rechenmaschinen und Rechenhilfsmittel ganz allgemein fanden nicht nur in Industrie und Verwaltung breite Anwendung, sondern auch in der Forschung. Vor allem die mechanischen Rechenmaschinen waren im 19. und 20. Jahrhundert ein ausgesprochen beliebtes „Werkzeug zur Bewältigung von zeitraubenden Rechenarbeiten“Zum Tweeten klicken 7 .

Rechengeräte – Vorläufer der Rechenmaschinen

Die Objekte der vom ersten Astronomie-Professor der ETH Zürich, Rudolf Wolf 8 , angelegten Sammlung für naturwissenschaftliche Forschungen und universitäre Lehre gehören heute zum wissenschaftlichen Kulturerbe der ETH Zürich. Unter den 296 Objekten der Sammlung der ehemaligen Eidgenössischen Sternwarte Zürich befindet sich neben den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Instrumenten auch eine Gruppe von Rechengeräten. 9

Russisches RechenbrettEin russisches Rechenbrett, auch bekannt als Abakus, dient als Instrument zum Addieren und Subtrahieren von positiven Zahlen. Mehrere Querstäbe werden durch einen Rahmen zusammengehalten. Aufgefädelt auf den Stäben sind Kugeln oder Perlen, wobei jede eine Dezimalzahl und jeder Stab eine Zehnerpotenz darstellt. Abakusse wurden früher z. B. auf Märkten für die Berechnung von Preisen gebraucht und dienen in Schulen heute noch als Rechenhilfe. 10 E-Pics Sammlung Sternwarte
RechenstabDer Rechenschieber oder Rechenstab 11 ist ein Instrument zur mechanischen Ausführung kleinerer numerischer Rechnungen und führt zu angenäherten Resultaten. Diese Geräte hatten für die Technik eine grosse Bedeutung, da die meisten Rechnungen angenähert waren und keinen Anspruch auf strenge mathematische Genauigkeit erhoben. 12 E-Pics Sammlung Sternwarte
Neper’sche RechenstäbeNeper’sche Rechenstäbe sind wichtige Ausgestaltungen von Rechenschiebern. Sie bauen auf dem Gitternetzverfahren «Gelosia» auf, einem Multiplizier- und Divisionsverfahren. Auf den vier Seiten der Holzstäbchen ist jeweils das kleine Einmaleins aufgetragen, wobei J für die Ziffer 1 steht. Um Berechnungen vorzunehmen, werden die Stäbchen nebeneinander gelegt. 13 E-Pics Sammlung Sternwarte
ProportionalwinkelProportionalwinkel bauen auf Strahlensätzen auf und arbeiten mit Proportionen (Verhältnisgleichungen). Anders als Proportionalzirkel haben sie einen festen Drehpunkt (Scharnier) und sind nicht verstellbar. 14 E-Pics Sammlung Sternwarte
24-Meter-Loga-Rechenwalze Die Loga-Rechenwalze mit einer Skalenlänge von 24 Metern war bis in die 1970er Jahre das weltweit grösste und genaueste Recheninstrument. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich ihre Verwendung besonders in Banken, Versicherungen, Schulen, Industrie, Forschung und Armee durch. 15 Das Exemplar aus dem Departement Informatik der ETH Zürich ist über 100 Jahre alt. (Fotografie: ETH-Bibliothek)

Aus Apparaten werden Maschinen – Frühe Pioniere als Wegbereiter der Computer

Wissenschaftler wie zum Beispiel Wilhelm Schickard 16 (1592–1635), Blaise Pascal (1623–1662), Gottfried Wilhelm Leibniz 17 (1646–1716), Caspar Schott (1608–1666) oder der Versicherungsfachmann Charles Xavier Thomas (1785–1870) entwickelten bereits in früheren Jahrhunderten Geräte, die als Vorläufer heutiger Computer bezeichnet werden können. In alten Drucken lassen sich entsprechende Abbildungen von diesen und anderen Erfindern entdecken.

Der Engländer Charles Babbage entwickelte zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der „arithmetischen Maschine“ einen Vorläufer des Computers 18 . Wesentliche Vorteile sah er in betriebswirtschaftlichen Überlegungen: in der Vermeidung von Fehlern, der Fähigkeit stundenlang in gleichbleibendem Tempo zu arbeiten, der Schnelligkeit und dem geringeren Einsatz von Menschen:

'Charles Babbage' by RoffeCredit: Wellcome Collection. CC BY

The object which Mr Babbage had in view in constructing this new machinery, was to produce printed copies of any mathematical tables, „without the possibility of an error existing a single copy“. […] Another time it produced „forty-four“ figures in a minute; and, as the machine may be moved uniformly by a weight, this rate of computation may be maintained for any length of time; and it is probable that few writers are able to copy, with equal speed, for many hours together. […] There is one circumstance in the construction of this machine, which is of considerable importance in making larger ones […], any error produced by accident, or by a slight inaccuracy in one of them, is corrected as soon as it is transmitted to the next, and in such a manner as effectually to prevent any accumulation of small errors from producing a wrong figure in the calculation. 19

— Charles Babbage

Als Vergleich zieht er „the most stupendous monument of arithmetical calculation which the world has yet produced“ heran, das im Auftrag der französischen Regierung von Gaspard de Prony durchgeführt worden war. Babbage legt dar, dass mithilfe einer Maschine anstatt der eingesetzten 96 Personen nur 12 notwendig gewesen wären.

Nach dieser als Differenzmaschine bekannten mechanischen Rechenmaschine beschrieb Babbage 1837 eine analytische Maschine, mit der er dem Computer einen entscheidenden Schritt näherkam, wenn auch die Maschine nicht gebaut werden konnte. (Danach gelang es erst rund 100 Jahre später Konrad Zuse, mit dem Z3 den ersten funktionierenden Computer zu bauen 20 .) Für Babbages „Analytical Engine“ 21 entwickelte Ada Lovelace – britische Mathematikerin und Programmiererin – ein komplexes Programm. Sie hatte verstanden, dass die analytische Maschine mit Algorithmen und somit selbständig funktioniert und dass deren Anwendung über Rechenoperationen hinausgehen könnte. 22

Mit dem Beginn der Industrialisierung nahm die Menge der Erfindungen und die Begeisterung für Maschinen merklich zu. So wurden denn auch an der ersten Weltausstellung „The great exhibition of the works of industry of all nations“ in London 1851 Rechenmaschinen präsentiert 23 . Als beste wurde ein Modell des polnischen Erfinders Izrael Abraham Staffel 24 angesehen, der – nachdem er in den Jahren davor bereits mehrere Preise erhalten hatte – dafür eine Medaille gewann. Die Maschine konnte neben addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren auch Quadratwurzeln ziehen. 25

Zwei Rechenmaschinen an der ETH Zürich

Mit dem Begriff „Rechenmaschinen“ werden Rechenapparate bezeichnet, die mit einer automatischen Zehnerübertragung ausgestattet sind 26 . In der Sammlung Sternwarte der ETH Zürich sind zwei seltene Rechenmaschinen dieser Art zu finden: eine Tastenaddiermaschine von Jean-Baptiste Schwilgué und ein Arithmometer von Charles Xavier Thomas de Colmar. 27

Thomas de Colmar, Erfinder und Versicherungsdirektor in Paris, erhielt am 18. November 1820 ein Patent für eine „machine appelée arithmomètre, propre à suppléer à la mémoire et à l’intelligence dans toutes les opérations d’arithmétique“ 28 . Er nahm mit seinem weiterentwickelten Arithmometer auch an der Weltausstellung 1851 in London teil und erhielt ebenfalls eine Medaille: die Jury stufte sie hinter jener von Staffel als zweitbeste ein 29 . Die im Jahr 1822 entwickelte Maschine war die erste Rechenmaschine, die in höheren Stückzahlen produziert und für einen grösseren Verbraucherkreis auf den Markt gebracht wurde 30 . Trotzdem kann jede einzelne Anfertigung als Unikat gesehen werden, da die Geräte bei der Serienproduktion laufend verbessert wurden 31 . Die Bedeutung dieser Maschine liegt in ihrem Vorbildcharakter, bildet sie doch den Grundtyp für alle späteren erweiterten Additionsmaschinen 32 und stellt somit einen Meilenstein in der Geschichte der Rechentechnik dar. 33

Die Schwilgué-Tastenaddiermaschine beherrscht im Gegensatz zum Thomas-Arithmometer nur die Addition. Zusammen mit einem älteren Exemplar im Historischen Museum in Strassburg ist die Maschine an der ETH Zürich aus dem Jahr 1851 die weltweit älteste erhaltene Tastenrechenmaschine. 34 Gebaut wurde sie von Jean-Baptiste Schwilgué (1776–1856), Uhrmacher und Mathematiklehrer aus Strassburg. Dieser beantragte im Jahr 1844 ein Patent für seine Addiermaschine, der „additionneur mécanique“ 35 . Diese gehört zu den ersten tastengesteuerten Rechnern auf dem Jahrhunderte langen Weg zu der „heute selbstverständlichen Tastatur“ 36 .

Die Tastenaddiermaschine von Schwilgué fand in alltäglichen Buchungsarbeiten Einsatz. Wie auch die späteren weit verbreiteten Tastenaddierer hält Bruderer das Exemplar der ETH Zürich als besonders geeignet für die Buchhaltung und speziell für das Zusammenzählen langer Zahlenfolgen, Kolonnen genannt. Denn leistungsfähigere Maschinen, wie der Thomas-Arithmometer, waren für diesen Zweck eher umständlich und teuer. 37

Der Einsatz dieser beiden Maschinen in der Arbeit der Eidgenössischen Sternwarte bzw. des Institutes für Astronomie ist nicht dokumentiert. Erst als ihre technischen Grenzen den weiteren Einsatz in der Praxis erschwerten, wurden die beiden Maschinen offizieller Bestandteil der Sammlung Sternwarte: die Schwilgué-Tastenaddiermaschine durch den undatierten handschriftlichen Nachtrag auf Seite 187 des Verzeichnisses, der Thomas-Arithmometer sogar erst im Jahr 1980, als die Eidgenössische Sternwarte geschlossen wurde.

Wissenschaftliches Rechnen an der ETH Zürich

Viele Institute der ETH Zürich verfügten bis in die 1970er Jahre über ohne Strom funktionierende Rechenhilfsmittel, die in der täglichen wissenschaftlichen Arbeit eingesetzt wurden. Dies betraf im Besonderen die Durchführung von Berechnungen, sei dies in der Meteorologie, der Kernphysik oder der Astronomie. Den Rechenmaschinen und vor allem deren Weiterentwicklung wurde grosses Potenzial für die Wissenschaft zugeschrieben 38 . Der Mathematiker John von Neumann (1903–1957) war als einer der ersten der Überzeugung, dass „mit Hilfe schneller elektronischer Rechenanlagen ausgeführte Berechnungen die Lösung vieler schwieriger, ungelöster wissenschaftlicher Probleme wesentlich erleichtern würden […]“. 39 Strombediente Rechner beschleunigten in der Tat ab der Mitte des 20. Jahrhunderts das wissenschaftliche Rechnen und Arbeiten und ermöglichten grosse Entwicklungsschritte.

Auch an der ETH Zürich wurde im 20. Jahrhundert in diesem Bereich Pionierarbeit geleistet. Das Ziel war, den wachsenden Bedürfnissen der Forschung gerecht zu werden. 40 Mit der „Zuse Z4“ von Konrad Zuse 41 setzte die ETH Zürich ab 1950 als erste Hochschule in Kontinentaleuropa einen elektromechanischen Relaisrechner ein 42 . Die ersten Eigenentwicklungen beim computergestützten Rechnen entstanden jedoch im Departement Mathematik. Am dort angesiedelten Institut für Angewandte Mathematik wurde in den 1950er Jahren die ERMETH (Elektronische Rechenmaschine der ETH) entwickelt: ein elektronischer Röhrenrechner (Elektronenrechner). Zum 100-Jahr-Jubiläum der ETH Zürich 1955 konnte die – zwar noch nicht ganz fertiggestellte – ERMETH schliesslich präsentiert werden. 43

Relaisrechner Zuse Z4, erster Computer an einer kontinentaleuropäischen HochschuleFotografie, 1950–1955 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Ans_00590)
Register und Steckeinheiten ENIAC, Institut für Angewandte MathematikFotografie, 1950–1955 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Ans_03694)
ERMETH-Rechenautomat, Institut für Angewandte MathematikFotografie, ca. 1955 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Ans_00290)
Swissair: Installation der IBM Rechen-MaschinenDie mit 120 Schreibrädern, 116 Zählerstellen und 64 Speicherstellen ausgerüstete Tabelliermaschine 407 ist in der Lage, in einer Stunde 9000 Lochkarten zu lesen und anzuschreiben. Sie kann addieren, subtrahieren und vergleichen sowie die ermittelten Totale in besondere Lochkarten stanzen. Ihre Aufgabe wird vom Programmierer mittels Kabel auf einer Schalttafel abgesteckt; in die Maschine eingelegt, steuert diese Tafel den automatischen Ablauf des gewünschten Arbeitsprozesses. (Originaltext aus: Swissair Journal März 1958)Fotografie, 1957 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Swissair, LBS_SR03-07883)

Jörg Waldvogel, Prof. emerit. des Instituts für Angewandte Mathematik (Departement Mathematik), ist Zeitzeuge der damaligen Ereignisse und erinnert sich:

In meiner Diplomarbeit im Jahr 1962 am Institut für Angewandte Mathematik der ETH bei Prof. Eduard Stiefel berechnete ich auf der ERMETH Flugbahnen von der Erde zum Mond. Die Technik basierte auf der numerischen Integration von Systemen von Differentialgleichungen und war durch Handrechnungen, auch mit der Hilfe von mechanischen MADAS-Rechnern, nicht mehr zu bewerkstelligen. Die Berechnung einer Bahn brauchte auf der ERMETH mehrere Stunden, die ich nur nachts bekommen konnte. Auf einem Tisch im Maschinenraum schlief ich jeweils auf einer Luftmatratze während eines Runs. Jede Nacht um 0.30 Uhr ertönte das Warnsignal und die Rechnung stand still: Das Ausschalten des elektrischen Netzwerkes der Zürcher Trambetriebe hatte jeweils eine Spannungsschwankung verursacht, welche die Rechnung auf der ERMETH stoppte. Zum Glück konnte ich jeweils das Programm ohne Verlust am selben Ort wieder starten.

— Jörg Waldvogel

Für Waldvogel ist klar, dass wissenschaftliche Durchbrüche wie die amerikanische Mondlandung 1969 nur dank der gewaltigen Fortschritte in der elektronischen Rechentechnik in den 1960er Jahren möglich geworden waren. Dies gilt bis heute.

Rechnen heute – von Supercomputern und gigantischen Rechenkapazitäten

Die in der aktuellen Forschung zu verarbeitenden Datenmengen erfordern gigantische Rechenkapazitäten, vergleicht man sie zum Beispiel mit der Rechenleistung der ERMETH. Dass man sich heutzutage in ganz anderen Dimensionen bewegt, zeigt das von der ETH Zürich betriebene Centro Svizzero di Calcolo Scientifico CSCS in Lugano 44 , wo sich mit dem Supercomputer „Piz Daint“ der leistungsstärkste Hochleistungsrechner Europas befindet 45 . Die Europäische Kommission hat eine Absichtserklärung zum High Performance Computing (HPC) 46 auf den Weg gebracht, nach der bis zum Jahr 2023 in Europa eine EuroHPC Infrastruktur aufgebaut werden soll 47 .

Die Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit war während Jahrhunderten Antrieb für die Entwicklung der Rechenhilfsmittel. Die zu verarbeitenden Datenmengen in Industrie und Wissenschaft werden weiter zunehmen. Wie in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden werden die Menschen weiterhin Hilfsmittel erfinden, die die dafür benötigten Kapazitäten und Anforderungen aufweisen. Als technische Hochschule wird die ETH Zürich hierzu ihren Beitrag leisten. Ob diese Hilfsmittel in Zukunft von der ETH-Bibliothek auch in einer Sammlung für die Nachwelt aufbewahrt werden, wird sich zeigen.

Glossar

  • Abakus: Einfaches mechanisches Rechenhilfsmittel, bestehend aus einem Rahmen mit eingebauten parallelen Stäben, an denen durchbohrte Kugeln hin und her geschoben werden können. 48 zurück >
  • Analytische Maschine: Entwurf einer mechanischen Rechenmaschine für allgemeine Anwendungen. Stammend vom britischen Mathematikprofessor Charles Babbage (1791–1871). Stellt einen wichtigen Schritt in der Geschichte des Computer dar. 49 zurück >
  • Arithmetische Maschine: Maschine, die mit der Operation von natürlichen Zahlen funktioniert. 50 zurück >
  • High Performance Computing (HPC): Hochleistungsrechner, welcher alle Rechenarbeiten umfasst, deren Bearbeitung eine hohe Rechenleistung oder Speicherkapazität benötigt. 51 zurück >
  • Rechenscheiben: Entspricht dem Rechenschieber, unterscheidet sich aber in der runden Form. 52 zurück >
  • Rechenschieber: Analoges Rechenhilfsmittel zur mechanisch-grafischen Durchführung von Grundrechenarten, vorzugsweise der Multiplikation und Division. 53 zurück >
  • Röhrenrechner: Computer der ersten Generation. Besteht bei den zentralen Schaltelementen aus Elektronenröhren. 54 zurück >
  • Zehnerübertragung: Hierbei handelt es sich um einen notwendigen Zwischenschritt beim Zählen in Stellenwertsystemen. Sobald die Anzahl der Elemente in einer Stelle die Basiszahl des Stellenwertsystems erreicht, werden diese entfernt und durch die Addition einer Eins in der nächst höheren Stelle ersetzt, es erfolgt also eine Bündelung bzw. Streichung mit Übertrag. 55 zurück >
  • Zuse Z4: Erster kommerzieller Computer 56 zurück >
  • Tachymetrisch: Stammt von Tachymetrie ab und ist eine Form der «Schnellmessung». Sie ermöglicht gleichzeitige Aufnahme der Lage und Höhe. 57 zurück >

Fussnoten

  1. Ries, Adam; Helm, Erhard: Rechenbuch, uff Linien unnd Ziphren, Frankfurt: bei Chr.[istian] Egen.[olff] Erben, 1565, S. 7 . ↩︎
  2. Die Algoristen, die mit indisch-arabischen Ziffern rechneten, konnten sich erst seit Ende des 18. Jahrhunderts gegen die Abakisten durchsetzen: http://www.library.ethz.ch/ms/Virtuelle-Ausstellungen/Fibonacci.-Un-ponte-sul-Mediterraneo/Bedeutung-Fibonaccis-fuer-die-Gegenwart/Streit-zwischen-Abakisten-und-Algoristen [eingesehen am 05.03.2018] ↩︎
  3. Kaufleute benutzen ein Rechenbrett, den Abakus: http://www.library.ethz.ch/ms/Virtuelle-Ausstellungen/Fibonacci.-Un-ponte-sul-Mediterraneo/Das-indisch-arabische-Zahlensystem [eingesehen am 05.03.2018] ↩︎
  4. Mayer, Joh. Eugen: Das Rechnen in der Technik und seine Hilfsmittel: Rechenschieber, Rechentafeln, Rechenmaschinen usw. (Vol. 405, Sammlung Göschen), Leipzig: Göschen, 1908, S. 38–39. ↩︎
  5. Nachdem der Absatz zunächst schleppend anlief, stieg die Nachfrage zum Ende des Jahrhunderts derart an, dass Egli von München nach Zürich zurückkehrte und eine Werkstatt eröffnete. 1904 beschäftigte Egli an der Albisstrasse 2 in Zürich-Wollishofen 80 Personen. Dank dem „fortschrittliche[n] und aufgeschlossene[n] Geist“ der Amerikaner nahm auch der Verkauf in die USA starken Aufschwung. Dort lief die Maschine teilweise „im dreischichtigen Betrieb täglich 24 Stund ununterbrochen“. 1911 brachte Egli die erste MILLIONAER mit „motorischem Antrieb“ auf den Markt, da sich die Elektrifizierung immer mehr durchsetzte. Die kontinuierliche Weiterentwicklung, die Umsetzung neuer Kundenbedürfnisse, aber auch die Lancierung neuer Maschinen waren Grundlage für den grossen Erfolg von Egli. Bereits zu Beginn der 1910er Jahre erkannte man, dass man den Personen, die Maschinen bedienten, so viel Denkarbeit wie möglich abnehmen musste: „Je mehr die Rechenmaschinen Verbreitung fanden, desto dringlicher wurde es, alle jene Manipulationen zu eliminieren, die vom Rechner eine, wenn auch nur geringe, geistige Anstrengung erforderten“. (Alle Informationen stammen aus dem Biographischen Dossier zu Hans Walter Egli im Hochschularchiv der ETH Zürich. Darin befindet sich die Kopie eines Entwurfs zu einer Jubiläumsschrift „50 Jahre EGLI-Rechenmaschinen.“ aus den Jahren 1942/43). ↩︎
  6. Dieser Satz stammt aus einem Brief, den der Direktor einer Maschinenfabrik an Ingenieur und Schriftsteller Häder richtete. In: Mayer, 1908, S. 6. ↩︎
  7. Graef, Martin: 350 Jahre Rechenmaschinen, München: Hanser, 1973, S. 7. ↩︎
  8. Rudolf Wolf gründete nicht nur die Sternwarte des Polytechnikums, sondern war auch der erste Direktor der ETH-Bibliothek. Viele Werke in ihrem Altbestand sind auf seine Sammeltätigkeit zurückzuführen. Auf der Plattforma e-rara.ch befindet sich die Kollektion „Privatbibliothek Rudolf Wolf“. ↩︎
  9. Informationen zur Digitalisierung der Sammlung befinden sich im Blog ETHeritage. ↩︎
  10. http://modellsammlung.uni-goettingen.de/index.php?lang=de&r=11&sr=51&m=900 [eingesehen am 15.05.2018]. Und: Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik: Zur Geschichte der Mathematik und der Informatik, Berlin: De Gruyter Oldenbourg, 2015, S. 77. ↩︎
  11. Ein Rechenstab ca. aus dem Jahr 1860 wird im Verzeichniss der Sammlungen der Zürcher-Sternwarte unter der Nr. 191 aufgeführt als „[…] eine durch Herrn Kern in Aarau nach meinem Auftrage verfertigte Copie eines eigenthümlichen Rechenstabes, der mir seiner Zeit aus dem Horner'schen Nachlasse zugefallen war. […]“. In: Wolf, Rudolf: Verzeichniss der Sammlungen der Zürcher-Sternwarte, Eidgenössische Sternwarte Zürich, 1873, S. 76–77. ↩︎
  12. Mayer, 1908, S. 5 ↩︎
  13. Bruderer, 2015, S. 78. ↩︎
  14. Bruderer, 2015, S. 85. ↩︎
  15. Bruderer, 2015, S. 333. ↩︎
  16. vgl. Freytag-Löringhoff, Bruno von; Seck, Friedrich: Wilhelm Schickards Tübinger Rechenmaschine von 1623 (5. erw. Aufl., Vol. Heft 4, Kleine Tübinger Schriften), Tübingen, 2002. ↩︎
  17. Walsdorf, Ariane: Das letzte Original. Die Leibniz-Rechenmaschine der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (Vol. 1, Schatzkammer). Hannover: Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek. 2014. ↩︎
  18. Die Maschine konnte allerdings nie gebaut werden, sondern lediglich ein kleineres Modell. ↩︎
  19. Babbage, Charles: On machinery for calculating and printing, 1822, No. XIV, Vol. VII, S. 274-281. In: Edinburgh Philosophical Journal: Exhibiting a View of the Progress of Discovery in Natural Philosophy, Chemistry, Natural History, Practical Mechanics, Geography, Navigation, Statistics, and the Fine and Useful Arts, Edinburgh: Constable, 1819-1826. (Hervorhebungen im Original) ↩︎
  20. https://de.wikipedia.org/wiki/Zuse_Z3 [eingesehen am 27.03.2018] ↩︎
  21. https://de.wikipedia.org/wiki/Analytical_Engine [eingesehen am 27.03.2018] ↩︎
  22. https://de.wikipedia.org/wiki/Ada_Lovelace [eingesehen am 27.03.2018] ↩︎
  23. Reports by the juries on the subjects in the thirty classes into which the exhibition was divided: Exhibition of the Works of Industry of All Nations, 1851, London: Clowes, 1852. ↩︎
  24. https://en.wikipedia.org/wiki/Izrael_Abraham_Staffel [eingesehen am 06.03.2018] ↩︎
  25. Eine Beschreibung der Funktionsweise von Staffels Rechenmaschine befindet sich im „Report by the juries“ der Weltausstellung 1851 auf S. 310f. Eine weitere Schau verschiedenster Rechenhilfsmittel fand 1876 in London anlässlich einer internationalen Ausstellung wissenschaftlicher Apparate statt. Im Gegensatz zu früheren Ausstellungen ging es im Kensington Palace nicht um Handel, sondern um den wissenschaftlichen Austausch. Neben neuen Instrumenten wurden auch historische gezeigt, um die Entwicklung darzustellen, seien es Rechenschieber, Rechenlineale, Rechenscheiben oder Rechenmaschinen. Die Bedeutung der Ausstellung verdeutlicht auch die Tatsache, dass der Katalog auf Deutsch übersetzt wurde. Darin sind unter anderem die „Napier’s Bones“ erwähnt, die sich auch im Bestand der Sammlung Sternwarte befinden. ↩︎
  26. Mayer, 1908, S. 67. ↩︎
  27. Herbert Bruderer hat in seinem im Jahr 2015 erschienenen Buch „Meilensteine der Rechentechnik“ die Ergebnisse der Recherchen zu den beiden Maschinen zusammengetragen. Daraus sind auch Anleitungen zu den Maschinen entstanden. Auf diesen neuesten Erkenntnissen und auf die von ihm zusammengetragen Quellen stützt sich der nachfolgende Abschnitt. ↩︎
  28. Bruderer, 2015, S. 322. ↩︎
  29. Reports by the juries on the subjects in the thirty classes into which the exhibition was divided: Exhibition of the Works of Industry of All Nations, 1851, London: Clowes, 1852, S. 440. ↩︎
  30. Bis 1878 wurden 1500 Maschinen in zahlreichen unterschiedlichen Modellen verkauft, und ihre Anfertigung erstreckte sich von etwa 1850 bis ins 20. Jahrhundert, vgl. Bruderer, 2015, S. 322. ↩︎
  31. Bruderer, 2015, S. 322. ↩︎
  32. Mayer, 1908, S. 73: „Die Thomassche Rechenmaschine wurde nun, nachdem sie allgemeinere Anwendung gefunden hatte, die Herstellung von Rechenmaschinen allmählich also zu einem Industriezweig geworden war, vielfach in ihren Konstruktionsteilen vervollkommnet und vervollständigt.“ Darauf basierend wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zum Beispiel der Burkhardt-Arithmometer als eine der besten und technisch vollendetsten Rechenmaschinen entwickelt. ↩︎
  33. Die intensive Quellenarbeit des Technikhistorikers Herbert Bruderer zeigt, dass weder Bedienungsanleitungen noch sonstige Unterlagen zum Thomas-Arithmometer auffindbar sind. Obwohl viel über den Arithmometer publiziert wurde, ist man heute für das Verständnis und die Bedienung dieser Maschine auf die wissenschaftlichen Untersuchungen und Erkenntnisse technikhistorischer Spezialisten angewiesen. Eine Vielzahl an Publikationen von Herbert Bruderer sind in der Research Collection der ETH Zürich zu finden. ↩︎
  34. Bruderer, 2015, S. 314. ↩︎
  35. Bruderer, 2015, S. 315. ↩︎
  36. Bruderer, 2015, S. 318: „Von der Erfindung der Rechenmaschine durch Wilhelm Schickard (1623) bis zur Erfassung von Zahlen mit der heute selbstverständlichen Tastatur dauerte es über 200 Jahre.“ ↩︎
  37. Bruderer, 2015, S. 317-318. ↩︎
  38. Neumann, John von: Die Rechenmaschine und das Gehirn, 1965, München: Oldenburg, S. 9 (Vorwort Klara von Neumann). ↩︎
  39. Neumann, 1965, S. 9–10. ↩︎
  40. Informationen zu den geschichtlichen Entwicklungen befinden sich auf den Websites des Departments Mathematik und Departments Informatik. ↩︎
  41. Bruderer, Herbert: Konrad Zuse und die Schweiz, Zürich: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Departement Informatik, Professur für Informationstechnologie und Ausbildung, 2011. Und: Bruderer, Herbert: Konrad Zuse und die Schweiz. Wer hat den Computer erfunden? München: Oldenbourg, 2012. ↩︎
  42. https://www.inf.ethz.ch/de/departement/geschichte/informatik-forschung.html [eingesehen am 22.05.2018]. ↩︎
  43. Die Geschichte der Entwicklung der ERMETH ist nachlesbar auf der Website ETHistory sowie ausführlich in Bruderer, 2015. ↩︎
  44. www.cscs.ch/ [eingesehen am 05.03.2018] ↩︎
  45. https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/51291.pdf [eingesehen am 05.03.2018] ↩︎
  46. https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/eu-ministers-commit-digitising-europe-high-performance-computing-power [eingesehen am 05.03.2018] ↩︎
  47. https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/european-declaration-high-performance-computing [eingesehen am 05.03.2018] ↩︎
  48. https://de.wikipedia.org/wiki/Abakus_(Rechenhilfsmittel) [eingesehen am 22.05.2018] ↩︎
  49. https://de.wikipedia.org/wiki/Analytical_Engine [eingesehen am 22.05.2018] ↩︎
  50. https://de.wikipedia.org/wiki/Arithmetik [eingesehen am 22.05.2018] ↩︎
  51. https://de.wikipedia.org/wiki/Hochleistungsrechnen [eingesehen am 22.05.2018] ↩︎
  52. https://de.wikipedia.org/wiki/Rechenscheibe [eingesehen am 22.05.2018] ↩︎
  53. https://de.wikipedia.org/wiki/Rechenschieber [eingesehen am 22.05.2018] ↩︎
  54. https://de.wikipedia.org/wiki/Röhrencomputer [eingesehen am 22.05.2018] ↩︎
  55. http://www.rechnerlexikon.de/artikel/Zehner%FCbertrag [eingesehen am 15.05.2018] ↩︎
  56. Bruderer, 2015, S. 383. ↩︎
  57. https://de.wikipedia.org/wiki/Tachymetrie [eingesehen am 22.05.2018] ↩︎